Atemlos durch’s Leben

überall

Die günstigste Alternative zum Facelifting

Täglich rennen wir von einer Yogastunde zur nächsten, lassen uns von Möchtegerngurus in asiatischen Gewändern bekehren und probieren eine fernöstliche Heilkunst nach der nächsten aus – ständig auf der Suche nach etwas, das wir gern als unsere“ innere Mitte“ bezeichnen. Dennoch tun wir uns zwischen all den mentalen Heilmethoden und Ayurvedakuren ziemlich schwer damit, das sogenannte „Gleichgewicht“ wieder zu finden. So manch ein Asiate im fernen Osten würde über unsere Verzweiflung nur schmunzeln. Ihm ist bewusster als den meisten von uns, dass nicht die innere Mitte der westlichen Gesellschaft vor Ewigkeiten verloren gegangen ist sondern vielmehr die Zeit zum Atmen.

Es ist also nicht so wie es das Sprichwort besagt: Uns fehlt nicht die Luft sondern die Zeit zum Atmen. Anders könnte ich mir zumindest nicht erklären, dass die Mehrheit der rund vier Milliarden Asiaten trotz allseits bekannter Luftverschmutzungswerte, durchnschnittlich zehn Jahre jünger aussieht. Luft nährt unsere Zellen mit Sauerstoff. Wenn die aber hungrig bleiben wirkt sich das durch verfrühte Falten und einen beschleunigten Alterungsprozess aus. Anstatt uns also darüber zu freuen eine verhältnismäßig unbelastete und sauerstoffhaltige Luft atmen zu können, versuchen wir die Spuren des Alterns durch Faceliftings und diverse Anti-Aging-Cremes aus unseren Gesichtern zu verbannen. Dabei ist das Geheimnis faltenfreier Haut und innerer Ausgeglichenheit so einfach, und vor allem: so viel billiger! Zeit ist nicht Geld, Zeit ist Atmen, und Atmen bedeutet Leben. Wenn wir also das nächste Mal nach Feierabend zur Yogastunde hetzen sollten wir uns vielleicht ein paar Sekunden unserer wertvollen Zeit nehmen und mal tiiiief Luft holen.

Allerdings wirkt sich die Versorgung unserer Zellen mit Sauerstoff nicht nur auf unsere Schönheit aus. Der Abtransport von Giftstoffen ist vor allem gesundheitsfördernd: Schmerzen werden gelindert, der Verdauungsprozess beschleunigt und die Fähigkeiten des Gehirns gestärkt. Mit einem tiefen Atemzug durch die Nase soll nicht nur die Lunge belüftet, sondern auch das Zwerchfell bewegt werden. So wird der Kreislauf besser zirkuliert und sämtliche Muskelgruppen entspannt. Durchschnittlich atmet ein erwachsener Mensch zwölf Mal pro Minute ein. Einmal Einatmen dauert deshalb meist nicht länger als fünf Sekunden, dabei gäbe unser Lungenvolumen so viel mehr her: Mit einer gezielten Atmung können wir bis zu 75 Liter Luft aufnehmen, in der Realität sind es meist nur etwa sieben bis zehn. Ein tiefer Atemzug sollte nicht nur bis in den Brustraum, sondern bis in den Bauch und sogar in Becken-, Rücken- und Nierenbereich spürbar sein.

Ja, die gute Helene Fischer hat mit ihrem „Atemlos“ den Zeitgeist ganz schön gut getroffen – nicht nur was den Schlager angeht. Doch atemlos sind längst nicht mehr nur unsere Nächte. In der schnelllebigen Gegenwart ist das oberflächliche Atmen zum Dauerzustand geworden. So wie bei den meisten Dingen im Leben wird das Wichtigste für selbstverständlich genommen und  nicht genügend wertgeschätzt. Nur bringt uns diese Einsicht im Nachhinein auch nichts mehr, denn genau genommen ist atemlos gleich leblos – auch wenn’s drastisch klingen mag! Und für die, die jetzt seufzend vor ihrem Computer oder über ihrem Smartphone hängen, nehmt euch die abschließende Frage einmal zu Herzen: Wann habt ihr das letzte Mal so bewusst geatmet wie in den letzten fünf Minuten während ihr diesen Text gelesen habt? Shame on you!

Quelle: rr.proquest.com

Quelle: rr.proquest.com

Und für alle, die sich noch ein bisschen länger ihrem Atem widmen möchten: http://www.gesundheit.de/fitness/fitness-uebungen/atemuebungen/atemuebungen

Na tolle Knolle!

überall

Warum die Kartoffel besser ist als die Nudel

So schön es auch sein mag mit den Liebsten zusammenzuwohnen, kommt es auch in den besten Wohngemeinschaften zu gelegentlichen Diskussionen. Zwar sind meine Mitbewohnerinnen und ich uns in den meisten Dingen einig, was hingegen die Wahl der Kohlenhydrate in unserem Mittagessen angeht, stehe ich meist allein da. Während der Großteil meiner Freundinnen der Meinung ist, Nudeln seien in jeglicher Hinsicht die beste Option für die tägliche Zufuhr an Ballaststoffen, habe ich es bis heute nicht geschafft, sie von den eindeutigen Vorteilen eines anderen Nahrungsmittels zu überzeugen: Der Kartoffel.

Die Liebe zur Kartoffel liegt nicht nur an den, mütterlicherseits verebten, deutschen Genen. Auch der Geschmack allein ist nicht Grund genug für meine Zuneigung zu dem gelben Knollengemüse. Vor allem ist es die Vielfältigkeit, die der nahrhafte Erdapfel mitbringt. Einst fragte mich mein Freund: Wenn du dir lediglich drei Nahrungsmittel aussuchen kannst von denen du dich dein Leben lang ernähren müsstest welche wären das? Nun ja, neben Schokolade dürfte da mit Sicherheit die Kartoffel nicht fehlen. Dann gäbe es montags Salzkartoffeln, dienstags Bratkartoffeln, mittwochs Kartoffelpüree, donnerstags Pellkartoffeln, freitags Kartoffelgratin, samstags Kartoffelpuffer und am Sonntag Ofenkartoffeln! Zudem kann ich aus 5000 verschiedenen Sorten weltweit auswählen. Bis ich damit durch bin haben sich gewiss weitere zehn Kartoffelgerichte entwickelt. Und jetzt kommt ihr, liebe Potatoehater!

Nicht nur was die Abwechslung angeht ist die Kartoffel der Nudel um einiges überlegen. Vor allem wenn es um Inhaltsstoffe, und somit den gesundheitlichen Zustand des Verzehrenden, geht ist das Lieblingsgemüse der Deutschen die deutlich bessere Wahl. Die Kartoffel strotzt nämlich nur so vor Vitaminen und Mineralien. Von Magnesium, über Kalium, Calcium, bis zu Phosphor und Eisen enthält die Kartoffel nicht nur alles was das Herz sondern was der gesamte Organismus begehrt! Und obwohl das Knollengewächs mit mehr Ballaststoffen deutlich länger satt hält ist es mit gerade mal 74 Kalorien pro 100 Gramm auch noch besser für die schlanke Linie. Dieselbe Menge Nudeln liefern bei 160 Kalorien fast das Doppelte!

Zu guter Letzt sei auf die Vorzüge der Kartoffel jenseits von Teller und Kochtopf hinzuweisen. Der ungekochte Erdapfel dient auch als altbewährtes Hausmittel, wie zum Beispiel bei der Reinigung von seidenen Tüchern, Wollkleidung und sogar Teppichen. Selbst hartnäckiger Straßenschmutz soll sich durch das Reiben mit einer rohen Kartoffel in Luft auflösen. Und auch die gekochte Version ist mehr als nur eine Bereicherung für den Mittagstisch. Der heiße Kartoffelwickel hat schon die einen oder anderen Halsschmerzen gelindert. Ich bezweifle das eine Nudel derartige Superkräfte besitzt!

Liebe Nudelfreunde, ich sehe ja ein, dass das Kartoffelschälen nervig sein kann und auch ich möchte eine hausgemachte Pasta hin und wieder nicht missen. Aber mal ganz im ernst: Die Pommes zum Cheeseburger wird die Nudel nie ersetzen können. Genauso wenig wie die Bratkartoffeln im Bauernfrühstück und die Klöße zum Gänsebraten am Weihnachtsabend. Und im Zweifesfall gibt’s bei uns in der WG eben Reis als Beilage. Der hat so wenig Eigengeschmack, dass wohl jeder damit einverstanden sein sollte.

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Und für alle Kartoffelmuffel, die ein bisschen Inspiration benötigen:

http://eatsmarter.de/rezepte/rezeptsammlungen/kartoffelgerichte#/0

Hip, Hipper, Happy Hippo

überall
So süß waren die 90er

Wie oft musste man sich das Geschwätz der älteren Herrschaften anhören als man selbst noch jung, rebellisch und ahnungslos auf seinem Center Shock rumgekaut hat: Die Jugend von heute! Eine ganz andere Frage, die sich mir heute stellt, wenn ich durch die Süßigkeitenregale im Supermarkt schlendere ist eine ganz andere: Was zum Teufel ist nur aus unser Schokolade geworden??

Die gute Nachricht: Auch als Erwachsener ist es noch legitim Kinder-Schokolade zu essen. Und auch die altbewährten Kinderriegel gibt es noch in zweifacher Ausführung. Die kleinen mit der allseits bekannten Grinsebacke auf der Verpackung und für die Großen dann eben die größeren Riegel, ganz unökologisch Doppelt in Plastik verpackt. Neben den anderen Leckereien des Kinder-Sortiments, wie Kinder-Country, Kinder-Maxiking, Kinder Bueno und (ganz wichtig!) dem Kinder Überraschungsei, ist einer unser Kindheitsfreunde verschwunden: Der Kinder Happy Hippo Snack!!! Aus einem unerklärlichen Grund kam irgendein Superhirn auf die Idee, den mit Haselnusscreme gefüllten Schokohippo, durch den Happy Hippo Cacao zu ersetzen. Bis heute hat so keiner richtig verstanden, welches Konzept hinter diesem merkwürdig dreinschauendem Baiser-Waffel-Tierchen steckt. Schaut es nicht gar selbst so, als wüsste es nicht so recht wohin mit sich?

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Leider ist der Happy Hippo Snack nicht der einzig zu verzeichnende Verlust. Auch im Kühlregal hat sich so einiges verändert. Zugegeben, der Kinder Professor Rino ist schon ein netter Trost, wenn auch kein ebenbürtiger Ersatz für den Happy Hippo, dennoch sind auch hier ein paar Dinge verschütt gegangen. Wo zum Beispiel ist der Frufoo von Onken abgeblieben? Ja genau, der UFO-förmige Erdbeerquark mit der tollen Spielzeugüberraschung in der Mitte. War der Bedarf gesättigt, als jedes Kind die Frufos-Family bereits in mehrfacher Ausführung hatte, oder war das miserable Marketing, das den Figuren Namen wie „Bananosaurus Rex“ und „Frucschrauber“ gab, schuld? Wenigstens die kleinen Schokoufos mit Quarkfüllung hätten sie uns doch lassen können. Die waren in Wirklichkeit doch eh viel geiler (wegen der Schokolade natürlich).

Ein weiterer treuer Weggefährte, der uns 90er-Kids genommen wurde, ist die deutsche Version der „Lunchables“-Lunchbox von Kraft. Die kleinen Weizencracker, mit den perfekt zugeschnittenen Wurst- und Käsescheibchen waren zwar nicht die billigste Alternative, ersparte der einen oder anderen Mutter aber das lästige Broteschmieren am Morgen. Meine Mutter hielt es hingegen für eine bessere Idee der Arbeit mit einer günstigeren Version zu entkommen. So fand ich dann eines Morgens lose TUC-Cracker mit selbstgeschnittenen Scheiben Kochwurst und Schablettenkäse in meiner Brotdose vor. Meine Mutter sah es verständlicherweise nicht ein, fünf Mal die Woche, einen unverschämten Betrag für eine im Grunde viel zu kleine Lunchbox auszugeben, nur damit ihre Tochter mit ihrer tollen Lunchable-Box aus der Werbung angeben konnte. Zwischen Sailor Moon und den Kickers wurde der (natürlich aus den USA stammende) Pausensnack nämlich angepriesen, wie kaum ein anderes Produkt. Aber scheinbar ist auch ein erfolgreiches Marketing nicht alles. Das zeigt auch das durchaus tragische YES-Törtchen-Beispiel. Nach dem Motto „Kleine Torte, statt vieler Worte“ brannte sich das Bild des kleinen Yes-Törtchens mit einer leuchtenden Kerze in der Mitte in wahrscheinliches jedes Kinderhirn der Republik ein. Trotz des unumstrittenen Wiedererkennungswerts war der kleine Kuchen 2003 gänzlich vom Markt verschwunden. Der Skandalkonzern Nestlé bewies zur Abwechslung Herz und nahm das Yes-Torty 2011 wieder ins Sortiment auf. Leider kein Comeback haben bis heute die Montelinos von Milka gefeiert. Seit Jahren warte ich auf eine Wiederbegegnung mit den kleinen Schokoladenbergen, die mit ihrem Gipfelchen aus weißer Schokolade nicht nur zuckersüß aussahen, sondern auch so schmeckten. Dagegen scheint es verständlicher, dass es die Wasa Schoko Wikinger nicht geschafft haben sich dauerhaft im Supermarktregal zu etablieren. Die Kombi aus Schokolade und Knäckebrot hat doch nie einer so wirklich einer verstanden. Nicht umsonst schmiert man sich sein Nutella doch lieber auf’s fluffige Weiß- oder Mischbrot.

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Ja, wenn man so überlegt könnte man stundenlang in Nostalgie dieser süßen Kindheitserinnerungen schwelgen. Doch auch wenn wir 90er-Kinder den Kinder Happy Hippo Snack vermissen, so müssen wir uns eingestehen, dass auch ein originaler, aus drei Kammern bestehender Schokoladenhippo (und sei die Haselnusscreme darin noch so cremig) wahrscheinlich nicht mehr so schmecken würde, wie er es damals getan hat. Andernfalls würden wir den Spinat, den wir damals mit großem Geschrei abgelehnt haben, doch heute auch nicht essen. Und so lange Duplo „die wohl längste Praline der Welt“ bleibt, man „Freunden weiterhin ein Küsschen gibt“ und auch die Lila Pause sich an der einen oder anderen Tankstelle blicken lässt, bleibt mit Sicherheit auch das Kind in uns erhalten.

Stille Post

Naher Norden

Wie die Dorfies den Slang nach Hamburch brachten.

Als in der Kleinstadt groß gewordenes Landei muss man sich von seinem in Hamburch aufgewachsenem Großstadtfreund schon die eine oder andere Stichelei gefallen lassen. Abgesehen von einer bemerkenswerten Trinkfestigkeit, die einem auf dem Lande quasi in die Wiege gelegt wird, unterscheiden wir Dorfis uns scheinbar auch was unser Vokabular angeht von den Großstadtkindern. So ist es für einen Hamburger Jung wie meinen Freund quasi unmöglich zu einer Karotte Wurzel zu sagen. Natürlich sind mir Begriffe wie Karotte, Möhre und Mohrrübe geläufig, trotzdem wurde bei mir zu Hause stets Wurzel zu dem orangen, gesunden Ding gesagt. Nach regelmäßigen Diskussionen über Begrifflichkeiten und Redewendungen, von denen mein Freund der festen Überzeugung ist, dass ich sie frei erfunden hätte, trieb unser gemeinsamer Kurztrip nach Tallinn den kleinen Sprachkonflikt auf die Spitze.

Wir spazieren mit zwei Freunden durch die altertümliche Innenstadt von Tallinn (für alle, die es nicht wissen: Tallinn ist die Hauptstadt von Estland), als uns ein ziemlich verdroschen aussehender Kerl mit blau verfärbtem Augenlid entgegen kommt. „Na der hat aber ordentlich auf die Fresse gekriegt. Oder er hat sich so richtig abgepackt“, kommentiere ich sein unübersehbares Veilchen. „Was hast du gesagt?“, erwidert mein Freund darauf. Ich wiederhole den eigentlich unerheblichen Satz, so wie man es eben tut, wenn sein Gegenüber etwas akustisch nicht verstanden hat. Geduldig wie ich ja nun mal bin, wiederhole ich es auch ein zweites Mal, als mein Freund mich darum bittet. Bei der dritten Nachfrage komme ich mir dann aber doch ein wenig verarscht vor. „Das mit dem auf die Fresse kriegen habe ich schon verstanden“, sagt er schließlich mit ernster Miene, „aber dem, was du danach gesagt hast, kann ich beim besten Willen nicht folgen.“ An seinem Gesichtsausdruck kann ich festmachen, dass mein lieber Freund mich diesmal nicht auf den Arm nehmen will – er hat mich tatsächlich nicht verstanden. „Abpacken? Was meinst du damit?“ „Naja, abpacken eben“, entgegne ich, „so wie abmaulen“. Spätestens mit diesem Verb habe ich ihn dann völlig verwirrt. Seine Mutmaßung: Ein Wort in diesem Zusammenhang existiere überhaupt nicht. Seines Erachtens nach könne man allerhöchstens sich hinpacken sagen. „Abpacken kannst du ein Paket“, lacht er mich aus. Aber nach all den Seitenhieben, die ich aufgrund meiner ländlichen Wurzeln (ja, auch in diesem Zusammenhang kann man das Wort Wurzel benutzen), schon kassieren musste, will ich das diesmal nicht auf mir sitzen lassen! „Abbas! Lena!“, rufe ich die anderen Zwei, die uns voraus gegangen waren, ohne etwas von dem Gespräch mitbekommen zu haben. Siegessicher frage ich die Beiden nach der Bedeutung des Verbs sich abpacken. Doch zu meiner Überraschung ernte ich erneut ratlose Blicke und anschließendes Gelächter, als ich sie über die Bedeutung des Begriffs aufkläre. „So ist das nun mal mit euch auf’m Dorf. Das ist wie stille Post: In Hamburg entwickelt sich ein Slang und ihr benutzt dann das, was davon übrig bleibt“, flachst mich mein Freund. Sehr witzig! Ich verkneife mir einen dummen Spruch und erzähle daheim meinen treuen Kleinstadtfreunden davon. Auch hier erwartet mich Gelächter für die Story, wenigstens stoße ich diesmal auf allgemeines Verständnis. Schon merkwürdig, dass jeder einzelner Itzehoer, dem ich die Geschichte erzähle, sofort weiß was ich meine, während ein Hamburger mich nur anschaut, als würde ich Thai mit ihm sprechen. Sprachbarrieren existieren offenbar auch über Distanzen von gerade mal 60 km, denn so weit ist meine Heimatstadt Itzehoe vom schönen Hamburch entfernt. Das mit der stillen Post ist also gar nicht mal so abwegig. Und bei so vielen Menschen, die in der Großstadt leben, ist es auch ganz plausibel, dass da gewisse Wörter nicht richtig ankommen …

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Möhre, Karotte oder einfach nur Wurzel?

Die Bad Boys von Yogyakarta

Ferner Osten

Wie Javas Batikmafia ahnungslose Touristen für dumm verkauft.

Während unserer Reise quer über die indonesische Insel Java verschlug es uns natürlich auch in die Kulturhauptstadt Yogyakarta. Neben abenteuerlichen Rikschafahrten, atemberaubenden Tempelanlagen und traditionellen Tanzveranstaltungen, hat Javas kultureller Kern auch eine Vielfalt an Kunst zu bieten. Als wir in einem der kleinen Travelagencies unsere Weiterreise buchten, erzählte uns der außerordentlich nette Reiseberater von einer Kunstausstellung, die im Rahmen eines Hochschulprojektes stattfinden sollte. Nachdem wir seine Frage, ob wir (neben den Zigaretten, die er uns bereits angedreht hatte) an Weed interessiert wären, verneint hatten, ließen wir uns dazu breitschlagen wenigstens einen Blick auf die Bilder zu werfen …

Er lieferte uns vor einem schmalen Eingang inmitten der Touristenmeile ab. Sofort wurden wir herzlich empfangen. Erstaunlicherweise sprach Harry, wie sich unser privater Führer uns vorstellte, fließend Deutsch. Er erzählte uns von einem Studium in Deutschland, durch das er die Sprache erlernt hatte, und einer Ehe, die aufgrund seiner damaligen Heroinabhängigkeit gescheitert war. Beeindruckt und gleichzeitig erschüttert über die persönlichen Geschichten, die Harry von sich preisgab, rauchten wir eine indonesische Nelkenzigarette nach der nächsten, bis er uns schließlich in die Geheimnisse der Batikkunst einführte. Geblendet von all den schönen Formen und Farben, die Harrys Bilder-Repertoire zu bieten hatte, verließ uns jegliches Misstrauen. Als wir ihm erklärten, dass wir Studenten mit einem sehr begrenzten Reisebudget wären, ging er mit seinem anfänglichen Preis von 150 auf schlappe 30 Euro hinunter – Na wenn das mal kein Schnäppchen is! Glücklich über unsere frisch erworbenen – und ach so günstigen – Kunstwerke schmiedeten meine Freundin und ich bereits Pläne darüber, wo wir die Schmuckstücke in unserer Wohnung platzieren würden. In Gedanken an mein neues Batikbild schlief ich an diesem Abend zufrieden ein.

Am nächsten Morgen trafen wir auf Jay. Wir kamen ins Gespräch nachdem er unsere ratlosen Mienen vor einer der aufgestellten Stadtpläne gesehen hatte. „Und nehmt euch bloß vor der Batikmafia in Acht!“, sagte er, als wir uns grade auf den Weg zu Yogyakartas legendären Vogelmarkt machen wollten. „Batik WAS?“ Plötzlich klingelten alle Alarmglocken in meinem Kopf (gut zu wissen, dass sie noch existierten, nachdem sie am Vortag offensichtlich außer Betrieb gewesen waren). Yogyakartas Batikmafia locke gern ausländische Touristen in ihre Ausstellungsräume, in denen sie, angeblich von Studenten gemalte, Bilder verkauften, erklärte uns Jay. Bei den Kunstwerken handele es sich um Kopien. In der Herstellung koste ein Batikbild maximal zehn Euro. Dreißig Euro wären zweifelsohne zu viel! Nicht so recht im Klaren darüber, ob wir wütend über Harrys Scheinheiligkeit oder unsere eigene Dummheit sein sollten, gönnten wir uns vor lauter Frustration eine – äußerst unangenehme – Fuß-Reflexzonen-Massage. Doch trotz schmerzender Zehen ließ mir der Ärger über unsere Naivität keine Ruh.

Mit dem Ziel Harry und seine Crew zur Rede zu stellen, machten wir uns an jenem Abend schließlich nochmal auf den Weg zum Ausstellungsraum. Harrys Miene veränderte sich schlagartig als er uns wiedererkannte. Ohne weite Ausschweife bot er uns Tee und Zigaretten an, denn sein Kollege hatte bereits die nächsten Idioten im Schlepptau. Es war nicht die angenehmste Situation dort zu sitzen und einem erwachsenen, und dazu ja eigentlich wildfremden, Mann eine Standpauke über Moral und Ehrlichkeit zu halten. Dennoch sah man an Harrys Gesichtsausdruck, dass ihm das Ganze noch viel unangenehmer zu sein schien als uns. Er bot uns an die Bilder zurückzugeben oder uns jeweils ein Weiteres auszusuchen. Wir entschieden uns für die zweite Option und ja, ich muss zugeben, wir ließen uns bei der Wahl unserer Bilder ganz schön viel Zeit – obwohl wir diesmal nichts zahlen brauchten. Eine kleine Genugtuung war es schon, die Jungs der Batikmafia in einer solch demütigen Haltung zu sehen. Wir hielten dennoch unseren Mund und ließen uns vor der potentiellen Kundschaft nichts anmerken. Vielleicht muss man erst selbst die Erfahrung machen, um sich beim nächsten Mal nicht wiederholt die Blöße zu geben. Und seien wir mal ehrlich: Was sind dreißig Euro schon für zwei handgefertigte (wenn auch kopierte) Batikbilder? Die Geschichte dahinter ist zumindest unbezahlbar!

Diese Schmuckstücke zierenjetzt unsere WG

Unsere WG-Schmuckstücke: Vielleicht nicht einzigartig – dafür die Story dahinter!

Drei Tage grün

überall

Fasten wie ein Yogi

Es begann mit einer harmlosen Kundalini Yoga-Stunde im vergangenen Jahr. Während wir durch dynamische Drehungen unseres oberen Rumpfes versuchten all die bösen Giftstoffe aus unseren Organen zu vertreiben, erzählte die Lehrerin uns von der „grünen Diät“. Wahrscheinlich war die Aussage, dass man dabei so viel essen dürfe, wie man wolle, ausschlaggebend für unsere Euphorie, das Ganze mal selbst auszuprobieren. Das jegliche Nahrung, ob nun in Form von Essen oder Getränken, dabei grün sein muss, war für meine Freundin und mich zunächst zweitrangig. Unsere Gedanken spiegelten eher folgendes wider: Eine Diät bei der man so viel essen kann, wie man will? Wie geil ist das denn??

Eine Asienreise, einen Umzug und letztendlich ein Jahr später waren wir zumindest immer noch so begeistert von der Idee unseren Körper mithilfe der grünen Diät zu entgiften.Als ich mich im Internet über das genaue Vorgehen informierte, erfuhr ich eine Menge über die Farbe Grün, was grüne Nahrungsmittel alles so mit unserem Körper anstellen und dass die richtigen Cracks das Ganze bis zu 30 Tage am Stück durchziehen! Meine Freundin und ich waren uns einig, dass uns fürs Erste drei Tage ausreichen würden. Uns bei der Farbe von Lebensmitteln auf Grün zu beschränken erschien uns nicht weiter schlimm. Neben Götterspeise mit Waldmeistergeschmack und sauren Apfelringen gibt es nämlich auch eine Vielzahl an Gemüse und frischen Kräutern, die grünen Farbstoff enthalten! Das sogenannte Chlorophyll verleiht Salat & Co nicht nur seine Farbe, sondern ist vor allem super gesund für den menschlichen Organismus. Während es Pflanzen bei der Photosynthese hilft, unterstützt es den menschlichen Körper beim Aufbau neuer Blutzellen und bei der Reinigung von Giftstoffen. Um die Superfoods in ihrer vollen Funktion nutzen zu können muss bei der grünen Diät allerdings auch auf alle weiteren Zusatzstoffe verzichtet werden. Leider ist weder Salz noch Zucker grün, deshalb sind zum Würzen der Mahlzeiten lediglich Kräuter oder Limettensaft erlaubt. Meine Mitbewohnerin deckte uns bei ihrem nächsten Einkauf mit einem Haufen an Grünzeug ein: Salat, Avocados, Weintrauben, Birnen, Gurken, Brokkoli und lauter andere chlorophyllträchtiger Dinge eben. Nach einem letzten deftigen Essen am Vorabend wurde ich direkt am ersten Morgen unserer grünen Diät auf die Probe gestellt.

Grünster (LIDL) Einkauf aller Zeiten

Grünster (LIDL) Einkauf aller Zeiten

Nach einem Obstsalat bestehend aus Trauben, Birnen und grünen Äpfeln, sowie einer Kanne Brennnesseltee zum Frühstück, traf ich meinen Vater beim IKEA. Eigentlich wollte ich dort nur zwei Regale für mein Zimmer besorgen, der Magen meines Vaters hatte jedoch andere Pläne. Mein Vater hatte Hunger und wenn ein Thai Hunger hat, dann aber richtig! In der IKEA-Kantine ließ der Gute sich also nicht von meinen grünen Absichten stören und bestellte kurzerhand für zwei Personen. Dass ich davon nichts essen würde, störte ihn nicht weiter. Die zwei Steaks mit Kartoffelspalten, der große Salat mit Räucherlachs und Dilldressing und das Mousse au Chocolat verdrückte er problemlos allein. Ich musste mich derweil mit meiner Tasse grünen Tee zufrieden geben. Komischerweise verspürte ich eine ungewohnte Art von Befriedigung in mir als ich meinen Vater dabei zusah wie er, ganz nach thailändischer Art, das Steak nur so hinunterschlang. Der erwartete Futterneid blieb aus. Im Gegenteil: meine Willensstärke bezüglich unseres Vorhabens hatte sich nur noch mehr gesteigert und ich fühlte mich wie ein wahnsinnig guter Mensch, der seinem Gegenüber sein saftig medium gegrilltes Steak von Herzen gönnte ohne selbst davon zu essen. In völligem Einklang mit meiner Selbst gönnte ich mir daheim eine extragroße Portion ungesalzenen Brokkoli mit einer Prise gehackten Pistazien – selbstverständlich unbehandelt! Nach zwei Stunden machte sich dann erneuter Hunger breit, also setzten meine Freundin und ich uns noch einen Topf Rosenkohl auf. Während unsere Mitbewohnerin sich die grünen Bällchen mit Fleischbeilage und einer ordentlichen Portion Butter und Salz hineinschaufelte, durften wir immerhin die Erfahrung machen, den Rosenkohl in seinem völlig natürlichen Geschmack kennenzulernen. Die Bekanntschaft war rein geschmackstechnisch vielleicht nicht die erfreulichste, unsere Bäuche waren dennoch zufriedengestellt. Mit einer Kanne Brennnesseltee am Abend war der erste grüne Tag auch schon überstanden.

Die IKEA-Challenge

Die IKEA-Challenge

Tag Zwei startete wieder mit einem Liter Tee und grünem Obstsalat. Trotz deutlich geringerer Zufuhr von Kohlenhydraten, die bei meinen gewöhnlichen drei Scheiben Schwarzbrot am Morgen eigentlich mehr als reichlich gedeckt ist, konnte ich keine Leistungsminderung beim morgendlichen Joggen feststellen. Da ich auch am Tag zuvor wenig Kohlenhydrate zu mir genommen hatte, fühlte ich mich umso leichter und schwereloser als ich den Elbstrand entlanglief. Zum Mittag bereiteten meine Freundin und ich uns den wohl grünsten Salat aller Zeiten zu: Babyspinat, grüne Paprika, Avocado, Gurke und grüne Oliven. Dazu kochte ich uns eine Suppe aus pürierten Erbsen. Für die würzige Note gab ich etwas grüne Currypaste aus Thailand hinzu. Garniert wurde das Ganze dann mit Kürbiskernen. Bereits nach einem Tag ohne Salz oder andere Zusatzstoffe löste die angenehme Schärfe eine wahre Geschmacksexplosion unserer Sinne aus. Die Kürbiskerne entpuppten sich außerdem als geeignete Knabberei für Zwischendurch, sodass die Tüte nach jedem Gang in die Küche leerer wurde. Die erwarteten Stimmungsschwankungen und Zickereien blieben weiterhin aus. Zwar fehlte uns das Frühstücksei und die Scheibe Schwarzbrot am Morgen, unsere Körper fühlten sich aber bereits nach 1 ½ Tagen viel fitter und vitaler.

Grünster Salat aller Zeiten

Grünster Salat aller Zeiten

Am dritten Tag hatte ich mich bereits an die grüne Nahrung gewöhnt. Es war gar nicht mal so schlimm durch den Supermarkt mit all seinen vollgestopften Regalen und Genussmitteln im Überdruss zu laufen und ihn mit lediglich einer Avocado und zwei Kiwis zu verlassen. Im Gegenteil: ich fühlte mich ziemlich kool dabei. Natürlich ist man auf gewisse Weise stolz darauf ein Ziel diszipliniert zu verfolgen und dabei auf sein körperliches Wohlbefinden zu achten. Für mich persönlich war es dann aber doch eher der bewusste Umgang mit Nahrungsmitteln als solcher, der etwas in mir veränderte. Ich dachte an meine Zeit in Asien zurück in der uns so viele Menschen begegnet waren, die sich einen vollgestopften Supermarkt ganz nach dem Motto „Wir lieben Lebensmittel“ nicht mal erträumen würden. Wie käme ich also dazu mich über drei Tage grüne Ernährung zu beschweren, wo ich doch die volle Bandbreite an Auswahl hatte. Ein anderer Gedanke, der mir kam, waren die buddhistischen Weisheiten, mit denen ich mich während der Reise beschäftigt hatte. Das Ziel Buddhas war es die vollständige Erlösung aller menschlichen Qualen zu erreichen. Dazu zählte er vor allem die Überwindung des unersättlichen menschlichen Verlangens. So begeben sich Mönche beispielsweise freiwillig in die Situation des Verzichtens und scheinen mit sich selbst völlig im Reinen zu sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es auf einmal lächerlich, wie schwerwiegend allein die Tatsache sein kann, dass die Lieblingssorte Chips beim Einkauf kurz vor Ladenschluss ausverkauft ist. Wir als Konsumenten verleiten die Industrie dazu unser unersättliches Verlangen zu stillen und treiben damit die grenzenlose Überproduktion von Lebensmitteln voran. Dass wir alle viel mehr essen, als wir wirklich bräuchten und vor allem als gesund für unseren Körper ist, wird völlig verdrängt. All diese Gedanken kamen mir während ich durch den akkurat gestalteten Supermarkt lief. Wahrscheinliche würde ich es nie schaffen ein Leben komplett ohne sündhaften Konsum gewisser Lebensmittel zu führen. Ganz bestimmt würde ich aber künftig noch mehr darauf achten, was und wie viel ich konsumiere. Nicht nur meiner eigenen Gesundheit wegen, sondern vor allem mit dem Wissen, dass es ein Privileg ist zwischen zwanzig Brotsorten auswählen zu können. Eine Tüte unbehandelter Rosinen verirrte sich dann trotzdem in meinen Einkaufskorb. Bevor sie schrumpelig wurden, waren sie immerhin auch grün.

Die längsten 40 Minuten meines Lebens

Naher Norden

Wie japanische Zen-Meditation mich fast aus den Latschen haute.

Wenn ich etwas an Hamburg hasse, dann diesen verdammten Berufsverkehr! Nach einer dreiviertel Stunde Stop & Go finde ich immerhin recht schnell einen Parkplatz in der Eiffestraße. Mit Flip Flops an den Füßen und Rucksack auf dem Rücken gestaltet sich das Rennen als nächste Herausforderung auf meinem Weg zur ersten Meditationssession meines Lebens. Völlig verschwitzt und außer Atem komme ich zehn Minuten zu spät am Zen Dojo an. Zögerlich und voller Panik, in die grad stattfindende Meditation reinzuplatzen, öffne ich die schwere Tür. Glücklicherweise finde ich keine in Trance verfallene Meditationsgruppe vor, dafür zwei ernst drein schauende Mönche. Der kleinere der beiden Mönche mustert mich kritisch von oben bis unten und weist dann auf meine unbedeckten Schultern hin. Als Erstes müsse ich mir etwas überziehen, sagt er. Da ich auf Empfehlung meines Freundes gekommen bin, habe ich zumindest was das Outfit betrifft vorgesorgt und mich in komplett schwarze Kleidung geschmissen – das ist nämlich Pflicht bei der japanischen Zen-Meditation. Blöderweise habe ich bei drückenden 28 Grad nur einen dicken Hoodie dabei, den ich mir wohl oder übel überwerfen muss. Der andere Mönch scheint nachsichtig zu sein und ist trotz Verspätung bereit mir eine kurze Einführung in das zu geben, was mich die nächsten zwei Stunden erwarten wird. Er drückt mir zwei schwere Kissen – Zafu genannt – in die Hand und führt mich zu dem Raum, in dem die Meditation um punkt 19 Uhr beginnen soll.

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Das Zafu-Kissen hilft bei der aufrechten Sitzhaltung

Er erklärt, dass die Zen-Meditation mit einem strengen Regelwerk einhergeht. Der Meditationsraum muss beispielsweise mit dem rechten Fuß als erstes betreten werden. Danach breitet man das Zafu auf dem Boden aus, verbeugt sich anschließend im Uhrzeigersinn vor jeder Wand und bringt sich dann langsam in Position. Meditiert wird im Schneidersitz; Profis tun es im vollständigen Lotossitz. Die Hände ruhen mit den Handflächen nach oben locker auf den Knien, die Augen sind nur einen Spalt weit geöffnet, der Blick führt nach schräg unten. Kein Ding für mich – bis mir der Mönch verkündet, dass die erste sitzende Meditationsrunde 40 Minuten dauert. Ich nicke mit einer Mine, die wahrscheinlich zuversichtlicher ist als das, was sich grad in meinem Inneren abspielt: What the fuck am I doing here??? Sind die vierzig Minuten rum, ertönt ein Gong, der zu einer fünf bis zehn minütigen „gehenden Meditation“ aufruft. Dabei geht man in langsamen Schritten eine gekennzeichnete Linie entlang, bevor man sich zum nächsten Gongschlag wieder auf seinen Platz begibt. Dort verweilt man für eine weitere halbe Stunde bis es zur abschließenden Zeremonie kommt. Aufgrund meiner Verspätung komme ich nicht mehr dazu, weitere Fragen zu stellen, denn um kurz vor sieben bereiten sich alle Beteiligten bereits auf die bevorstehende Meditation vor. Etwas nervös reihe ich mich zwischen den anderen Teilnehmern ein, die alle bis auf mich männlich und glatzköpfig sind. Nacheinander nehmen wir unsere Plätze ein – unmittelbar vor einer weißen Wand. Der erste Gong ertönt, die längsten vierzig Minuten meines Lebens beginnen.

Mir ist heiß, ich hab Durst, ich will nach hause. Ich versuche an nichts zu denken und mir schießen eine Million Gedanken durch den Kopf. Nach kurzer Zeit hat sich jegliches Gefühl aus meinen Beinen verabschiedet. Ich fange an Pläne zu schmieden, wie ich es schaffen könnte mich auf schnellst möglichsten Wege aus der Affäre zu ziehen, oder wohl eher gesagt: die Flucht zu ergreifen! Verstohlen schiele ich zu meinen Sitznachbarn rüber. Alle scheinen komplett in ihrem Meditationsding zu stecken. Ich passe scheinbar nicht nur optisch nichts ins Bild, sondern auch was meine geistige Beschaffenheit betrifft (Hey – immerhin habe ich von uns allen die meisten asiatischen Gene in mir!). Die schlimmsten Befürchtungen machen sich in mir breit. Wenn gleich der Gong ertönt werde ich nicht in der Lage sein aufzustehen, da mein rechtes Bein quasi gelähmt ist. Ich werde bei dem Versuch aufzutreten wegknicken und wie ein auf den Rücken gefallener Käfer am Boden liegen. Wenigstens bleibt mir dann die zweite Hälfte der Meditation erspart, denke ich mir und empfinde das als einen passablen Plan, dem Ganzen ein Ende zu bereiten.

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Nach einer gefühlten Ewigkeit schlägt der an der Seite sitzende Mönch endlich den Gong und ich ziehe bedacht mein rechtes Bein unter dem linken hervor. Vorsichtig richte ich mich auf und erstaunlicherweise knicke ich nicht weg wie ein grad zur Welt gekommenes Giraffenbaby. Einigermaßen souverän schließe ich mich also meinem Vordermann an und beginne (innerlich hin und hergerissen, ob ich mich darüber freuen soll, mich mit meiner befürchteten Hinfallaktion nicht zum Horst gemacht zu haben oder mich insgeheim zu verfluchen, da mich noch weitere dreißig Minuten sitzende Meditation erwarten) mit der gehenden Meditationsrunde. Alter, ist das geil nicht zu sitzen! Viel zu schnell vergeht das Gehen und ich begebe mich zurück auf mein Zafu, atme tief durch und bereite mich innerlich auf die zweite Runde psychische und physische Folter vor. Als ich den ersten tiefen Atemzug nehme kommt mir die glorreiche Idee meine Aufmerksamkeit einfach komplett auf meine Atmung zu richten – ich mein, ich hab ja eh grad nichts zu tun. Ich erinnere mich an eine passende Übung, die wir in einer Yogastunde praktiziert haben: Drei Sekunden einatmen, fünf Sekunden Atem halten und acht Sekunden vollständig ausatmen. Schon erstaunlich wie viel Konzentration einem durch bewusstes Atmen abverlangt wird. Selbst mein Bein, was sich auch diesmal nicht vor dem Einschlafen bewahren lässt, kann ich weitestgehend ignorieren. Nach einer halben Stunde ist es geschafft und ich darf mich gemeinsam mit den anderen zum Altar begeben, der in der Mitte des Raumes steht. Drei Mal knien wir uns nieder und verbeugen uns am Boden bevor wir uns hinsetzen, um dem japanischen Singsang der Mönche beizuwohnen. Obwohl ich kein Wort verstehe, hat das Gesummmmmmmme der männlichen Stimmen um mich herum eine beruhigende Wirkung auf mein eben noch so geschundenes Gemüt. Am Ende der Zeremonie verlassen wir nacheinander den Raum – als erstes mit dem linken Fuß, so schreiben es die Regeln vor.

„Geschafft“, schmunzelt der Mönch der mir die Einweisung gegeben hat. Genauso gut hätte das eine Frage sein können, denn geschafft bin ich tatsächlich. Meine erste japanische Zen-Meditation war eine körperliche, als auch geistige Herausforderung, die ich bei Weitem unterschätzt habe. Trotz Kopfschmerzen und einer staubtrockenen Kehle fühle ich mich seltsam befreit als ich nach zwei Stunden endlich an die frische Luft trete. Taube Gliedmaßen, Rückenschmerzen und mentale Zerstreutheit sind am Anfang ganz normal, hatte mir der Mönch zum Abschied gesagt. Zehn Minuten praktizierte Meditation täglich seien ein guter Einstieg, um irgendwann die innere Ruhe dabei finden zu können. Von der inneren Ruhe scheine ich noch weit entfernt zu sein. Dennoch gehe ich mit einem positiven Gefühl und auf mittlerweile wieder gut durchbluteten Beinen nach Hause. Vielleicht sollte ich es nochmal mit weniger anspruchsvollen Meditationskursen probieren, bevor ich mich noch einmal in die Höhle der Mönche traue. Einen gewissen Reiz übt diese Ruhe und Gelassenheit der Herren schon aus. Aber bis dahin ist es für mich noch ein langer Weg – es ist eben noch kein Zen-Meister vom Himmel gefallen.

Das verrückte Weihnachtsfest der Thais

Ferner Osten

So viel Weihnachten steckt in einer thailändischen Privatschule

Es ist Montag, der 23. Dezember – ein Tag vor Heiligabend. Ich sitze an meinem Schreibtisch und lausche angestrengt den immer und immer wiederkehrenden Weihnachtssongs, die aus Richtung Aula ertönen. Nicht einmal im Süden Thailands kann ich dem nervtötenden WHAM!-Hit „Last Christmas“ entgehen. Ja, richtig: Ich befinde mich in DEM Thailand – dem in Südostasien liegenden Thailand auch bekannt, als Strandparadies, kulinarisches Wunderland oder zumindest aus dem zweiten Teil der „Hangover“-Trilogie. Als ich mich an der privaten „Niramon School“ in Chumpon (ein 30.000 Einwohner-Städtchen im Süden des Landes) für ein soziales Praktikum bewarb war mir zwar bewusst, dass es sich dabei um eine katholische Schule handelt, dass die Thais einen derartigen Hype um das christliche Weihnachtsfest feiern würden hätte ich allerdings nicht erwartet. Seit Tagen wird der Unterricht durch Dekorationsaktionen und Proben für die große Weihnachtsaufführung am 24. Dezember ersetzt. Englischunterricht scheint an diesen Tagen zweitrangig zu sein, umso wichtiger sind das Basteln von Weihnachtssternen und das Einstudieren der Thai-Version von Mariahs „All I Want for Christmas“. Nicht mal ich als Gast dieser Schule kann dem Weihnachtswahn entgehen, denn blöderweise bin ich wesentlicher Bestandteil dieses ganzen Zirkus. Ganz im Stil des High School Musicals ist es nämlich meine Aufgabe die moderne Version des kleinen Mädchens mit den Schwefelhölzern zu mimen. Ursprünglich war ich an die Schule gekommen, um die thailändische Sprache zu lernen und als Gegenleistung Ballettunterricht für die jüngeren Schüler zugeben, doch die Thais hatten offensichtlich ihre eigenen Pläne mit mir. Anstatt also den Mädchen die erste bis fünfte Position beizubringen, bin ich nun selbst Mittelpunkt des Geschehens und finde mich in Spitzenschuhen und Lumpen-Kostüm auf der Bühne wieder. Nach meiner tänzerischen Darbietung von ganzen drei Minuten folgt am Ende des Stücks mein persönlicher Lieblingspart: das Finale. Der gesamte Abschlussjahrgang sammelt sich nach und nach auf der Bühne und besonders begabte Schüler leben ihre Stimmengewalt bei der Thai-Version von „Do they know it’s Christmas“ aus. Ein Schmunzeln kann ich mir selbst bei der Generalprobe nicht verkneifen, wenn die Stelle kommt in der es heißt „there won’t be snow in Africa this Christmastime“. Meines Erachten nach wird auch in Thailand kein Schnee für diese Weihnachten erwartet, aber das juckt die Thais nicht im Geringsten. Echter Schnee wird kurzerhand durch Wattebäusche ersetzt und zur Krönung des Ganzen wird ein gigantischer Plastik-Tannenbaum in die Aula gefahren. Ich bin fix und alle als ich an diesem Nachmittag die Schule verlasse.

Seit Tagen ertrage ich nun den überschwänglichen Enthusiasmus der Thais bezüglich des bevorstehenden Weihnachtsfests. In anderen Worten bedeutet das: ständiges Herumgehoppse und Gesinge auf der Bühne bei erheblich schlecht eingestellten Mikrofonen und Lautsprechern – Kopfschmerzen also unvermeidlich. Nicht einmal während der Mittagspause wird meinen Ohren eine Pause gegönnt, denn hier ereignet sich erst das wahre Spektakel: das Christmas-Bingo. Der katholische Direktor der Schule, der sich gewöhnlicher Weise im liturgischen Gewand zu zeigen vermag, fungiert hier als Moderator und heizt sowohl Schüler als auch Lehrer auf, an dem sagenhaften Bingospiel teilzunehmen. Auf der Bühne locken pompöse Teddybären, Spielzeugautos und anderer Schnickschnack, sich für ein paar Baht Bingoscheine zu kaufen. Der Boden ist übersät von Schülern im Alter von sieben bis siebzehn Jahren, die alle scharf darauf sind einen der Gewinne abzusahnen. Mit einem süßen Softdrink in der einen und ihrem Bingozettel in der anderen Hand (manchmal noch auf einem am Stiel steckenden Würstchen kauend) hocken sie dort im Schneidersitz, lauschen hochkonzentriert den Zahlen, die von der Bühne aus aufgerufen werden und fangen an zu johlen wenn sie einen Treffer landen.

Wie sehr die Thais allerdings tatsächlich auf kitschige Stofftiere stehen sollte ich am nächsten Tag erfahren – da geht’s nämlich erst so richtig rund. Ganz nach meiner deutschen Ader komme ich am Morgen des 24. Dezembers viel zu früh in die Schule, um mich vor der großen Stunde standesgemäß aufzuwärmen. Gewappnet für den Auftritt drehe ich eine Runde durch die Aula, die mittlerweile brechend voll ist. Noch sind die Eltern damit beschäftigt an den Outfits ihrer Schützlinge rumzufummeln und gemeinsam mit ihren Liebsten Selfies zu schießen. Nach einer endlos langen Ansprache diverser Lehrkräfte beginnt die große Weihnachtszeremonie mit dem Stück der Abschlussklasse in welchem auch ich mitwirke. Alles läuft glatt über die Bühne. Besonders begeistert ist das Publikum von dem stämmigen Jungen, der mit langer Perücke und weißem Kleid über die Bühne stolziert (da kann selbst ich mit meinem Spitzentanz nicht mithalten). Das Highlight beginnt aber erst, als die Kleinkinder an der Reihe sind. Keine der Klassenlehrerinnen hat sich die Gelegenheit entgehen lassen ihre zwischen fünf bis sechs Jahre alten Schüler in kitschige – dennoch irgendwie niedliche – Kostüme zu verpacken, um sie dann zu aktuellen Chartsmusik so richtig abzappeln zu lassen. Und damit meine ich tatsächlich: abzappeln. Einige der Kids entpuppen sich als wahre Rampensäue, die wahnsinnigen Spaß am Rumhüpfen oder am Posen vor Mamis Tablet (Tablet = Thailändisches Synonym für Kamera) haben. Andere hingegen fangen direkt an zu heulen und entfachen damit eine regelrechte Kettenreaktion. Bricht einer der Kleinen in Tränen aus, fangen auch beim Nebenmann die Lippen an zu zittern bevor sich die großen braunen Äuglein mit Wasser füllen und nach und nach die halbe Bühne am Flennen ist. Die Mütter geben ihr Bestes ihren Nachwuchs bei Laune zu halten, um wenigstens ein gutes Foto mit nach Hause zu nehmen – und genau da kommen die Plüschtiere ins Spiel. Vor dem Eingang der Aula haben sich nämlich (plietsch wie Thais ja nun mal sind) bereits vor Beginn mehrere Stände aufgebaut, die sich anlässlich des weihnachtlichen Tanzspektakels auf den Verkauf von quietschbunten Teddybären und XXL-Kuscheltier-Blumensträußen spezialisiert haben. Damit versuchen die Eltern nun ihre Kiddies zum Weitertanzen zu animieren. Dabei entsteht ein wahrhafter Kampf um die besten Plätze unmittelbar vor der Bühne, von wo aus man die besten Fotos und Videos machen kann. Meine Freundin und ich betrachten das Ganze aus weiterer Entfernung und amüsieren uns köstlich. Nach einer dreiviertel Stunde bester Unterhaltung ziehen wir uns schließlich zurück und freuen uns auf ein richtig deutsches Festtagsessen inklusive Entenbrust und Blumenkohl. Das war mit Abstand das absurdeste Weihnachtsfest meines Lebens!

Die Thais sind wahrlich ein verrücktes Volk (ich darf das sagen – auch ich habe verrückte, thailändische Gene in mir) und wie ich nun feststellen konnte ist das weniger eine Frage der Religion, vielmehr aber eine Sache der Lebenseinstellung. Auch wenn ich viele Dinge, die ich während meiner Zeit in Thailand erlebt habe belächle, bewundere ich die Thais für ihre Ungeniertheit und die unbeschwerte Lebensweise, die sie an den Tag legen. Manchmal ist glücklich sein so leicht, auch wenn wir Deutschen uns manchmal schwer damit tun. Denn egal, ob die Thais nun verstanden haben, was genau am Heiligabend gefeiert wird, geht es doch eigentlich darum glücklich zu sein – und das haben sie defintiv geschafft. Ob nun mit Kuscheltier oder ohne!