Stille Post

Naher Norden

Wie die Dorfies den Slang nach Hamburch brachten.

Als in der Kleinstadt groß gewordenes Landei muss man sich von seinem in Hamburch aufgewachsenem Großstadtfreund schon die eine oder andere Stichelei gefallen lassen. Abgesehen von einer bemerkenswerten Trinkfestigkeit, die einem auf dem Lande quasi in die Wiege gelegt wird, unterscheiden wir Dorfis uns scheinbar auch was unser Vokabular angeht von den Großstadtkindern. So ist es für einen Hamburger Jung wie meinen Freund quasi unmöglich zu einer Karotte Wurzel zu sagen. Natürlich sind mir Begriffe wie Karotte, Möhre und Mohrrübe geläufig, trotzdem wurde bei mir zu Hause stets Wurzel zu dem orangen, gesunden Ding gesagt. Nach regelmäßigen Diskussionen über Begrifflichkeiten und Redewendungen, von denen mein Freund der festen Überzeugung ist, dass ich sie frei erfunden hätte, trieb unser gemeinsamer Kurztrip nach Tallinn den kleinen Sprachkonflikt auf die Spitze.

Wir spazieren mit zwei Freunden durch die altertümliche Innenstadt von Tallinn (für alle, die es nicht wissen: Tallinn ist die Hauptstadt von Estland), als uns ein ziemlich verdroschen aussehender Kerl mit blau verfärbtem Augenlid entgegen kommt. „Na der hat aber ordentlich auf die Fresse gekriegt. Oder er hat sich so richtig abgepackt“, kommentiere ich sein unübersehbares Veilchen. „Was hast du gesagt?“, erwidert mein Freund darauf. Ich wiederhole den eigentlich unerheblichen Satz, so wie man es eben tut, wenn sein Gegenüber etwas akustisch nicht verstanden hat. Geduldig wie ich ja nun mal bin, wiederhole ich es auch ein zweites Mal, als mein Freund mich darum bittet. Bei der dritten Nachfrage komme ich mir dann aber doch ein wenig verarscht vor. „Das mit dem auf die Fresse kriegen habe ich schon verstanden“, sagt er schließlich mit ernster Miene, „aber dem, was du danach gesagt hast, kann ich beim besten Willen nicht folgen.“ An seinem Gesichtsausdruck kann ich festmachen, dass mein lieber Freund mich diesmal nicht auf den Arm nehmen will – er hat mich tatsächlich nicht verstanden. „Abpacken? Was meinst du damit?“ „Naja, abpacken eben“, entgegne ich, „so wie abmaulen“. Spätestens mit diesem Verb habe ich ihn dann völlig verwirrt. Seine Mutmaßung: Ein Wort in diesem Zusammenhang existiere überhaupt nicht. Seines Erachtens nach könne man allerhöchstens sich hinpacken sagen. „Abpacken kannst du ein Paket“, lacht er mich aus. Aber nach all den Seitenhieben, die ich aufgrund meiner ländlichen Wurzeln (ja, auch in diesem Zusammenhang kann man das Wort Wurzel benutzen), schon kassieren musste, will ich das diesmal nicht auf mir sitzen lassen! „Abbas! Lena!“, rufe ich die anderen Zwei, die uns voraus gegangen waren, ohne etwas von dem Gespräch mitbekommen zu haben. Siegessicher frage ich die Beiden nach der Bedeutung des Verbs sich abpacken. Doch zu meiner Überraschung ernte ich erneut ratlose Blicke und anschließendes Gelächter, als ich sie über die Bedeutung des Begriffs aufkläre. „So ist das nun mal mit euch auf’m Dorf. Das ist wie stille Post: In Hamburg entwickelt sich ein Slang und ihr benutzt dann das, was davon übrig bleibt“, flachst mich mein Freund. Sehr witzig! Ich verkneife mir einen dummen Spruch und erzähle daheim meinen treuen Kleinstadtfreunden davon. Auch hier erwartet mich Gelächter für die Story, wenigstens stoße ich diesmal auf allgemeines Verständnis. Schon merkwürdig, dass jeder einzelner Itzehoer, dem ich die Geschichte erzähle, sofort weiß was ich meine, während ein Hamburger mich nur anschaut, als würde ich Thai mit ihm sprechen. Sprachbarrieren existieren offenbar auch über Distanzen von gerade mal 60 km, denn so weit ist meine Heimatstadt Itzehoe vom schönen Hamburch entfernt. Das mit der stillen Post ist also gar nicht mal so abwegig. Und bei so vielen Menschen, die in der Großstadt leben, ist es auch ganz plausibel, dass da gewisse Wörter nicht richtig ankommen …

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Möhre, Karotte oder einfach nur Wurzel?

Die längsten 40 Minuten meines Lebens

Naher Norden

Wie japanische Zen-Meditation mich fast aus den Latschen haute.

Wenn ich etwas an Hamburg hasse, dann diesen verdammten Berufsverkehr! Nach einer dreiviertel Stunde Stop & Go finde ich immerhin recht schnell einen Parkplatz in der Eiffestraße. Mit Flip Flops an den Füßen und Rucksack auf dem Rücken gestaltet sich das Rennen als nächste Herausforderung auf meinem Weg zur ersten Meditationssession meines Lebens. Völlig verschwitzt und außer Atem komme ich zehn Minuten zu spät am Zen Dojo an. Zögerlich und voller Panik, in die grad stattfindende Meditation reinzuplatzen, öffne ich die schwere Tür. Glücklicherweise finde ich keine in Trance verfallene Meditationsgruppe vor, dafür zwei ernst drein schauende Mönche. Der kleinere der beiden Mönche mustert mich kritisch von oben bis unten und weist dann auf meine unbedeckten Schultern hin. Als Erstes müsse ich mir etwas überziehen, sagt er. Da ich auf Empfehlung meines Freundes gekommen bin, habe ich zumindest was das Outfit betrifft vorgesorgt und mich in komplett schwarze Kleidung geschmissen – das ist nämlich Pflicht bei der japanischen Zen-Meditation. Blöderweise habe ich bei drückenden 28 Grad nur einen dicken Hoodie dabei, den ich mir wohl oder übel überwerfen muss. Der andere Mönch scheint nachsichtig zu sein und ist trotz Verspätung bereit mir eine kurze Einführung in das zu geben, was mich die nächsten zwei Stunden erwarten wird. Er drückt mir zwei schwere Kissen – Zafu genannt – in die Hand und führt mich zu dem Raum, in dem die Meditation um punkt 19 Uhr beginnen soll.

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Das Zafu-Kissen hilft bei der aufrechten Sitzhaltung

Er erklärt, dass die Zen-Meditation mit einem strengen Regelwerk einhergeht. Der Meditationsraum muss beispielsweise mit dem rechten Fuß als erstes betreten werden. Danach breitet man das Zafu auf dem Boden aus, verbeugt sich anschließend im Uhrzeigersinn vor jeder Wand und bringt sich dann langsam in Position. Meditiert wird im Schneidersitz; Profis tun es im vollständigen Lotossitz. Die Hände ruhen mit den Handflächen nach oben locker auf den Knien, die Augen sind nur einen Spalt weit geöffnet, der Blick führt nach schräg unten. Kein Ding für mich – bis mir der Mönch verkündet, dass die erste sitzende Meditationsrunde 40 Minuten dauert. Ich nicke mit einer Mine, die wahrscheinlich zuversichtlicher ist als das, was sich grad in meinem Inneren abspielt: What the fuck am I doing here??? Sind die vierzig Minuten rum, ertönt ein Gong, der zu einer fünf bis zehn minütigen „gehenden Meditation“ aufruft. Dabei geht man in langsamen Schritten eine gekennzeichnete Linie entlang, bevor man sich zum nächsten Gongschlag wieder auf seinen Platz begibt. Dort verweilt man für eine weitere halbe Stunde bis es zur abschließenden Zeremonie kommt. Aufgrund meiner Verspätung komme ich nicht mehr dazu, weitere Fragen zu stellen, denn um kurz vor sieben bereiten sich alle Beteiligten bereits auf die bevorstehende Meditation vor. Etwas nervös reihe ich mich zwischen den anderen Teilnehmern ein, die alle bis auf mich männlich und glatzköpfig sind. Nacheinander nehmen wir unsere Plätze ein – unmittelbar vor einer weißen Wand. Der erste Gong ertönt, die längsten vierzig Minuten meines Lebens beginnen.

Mir ist heiß, ich hab Durst, ich will nach hause. Ich versuche an nichts zu denken und mir schießen eine Million Gedanken durch den Kopf. Nach kurzer Zeit hat sich jegliches Gefühl aus meinen Beinen verabschiedet. Ich fange an Pläne zu schmieden, wie ich es schaffen könnte mich auf schnellst möglichsten Wege aus der Affäre zu ziehen, oder wohl eher gesagt: die Flucht zu ergreifen! Verstohlen schiele ich zu meinen Sitznachbarn rüber. Alle scheinen komplett in ihrem Meditationsding zu stecken. Ich passe scheinbar nicht nur optisch nichts ins Bild, sondern auch was meine geistige Beschaffenheit betrifft (Hey – immerhin habe ich von uns allen die meisten asiatischen Gene in mir!). Die schlimmsten Befürchtungen machen sich in mir breit. Wenn gleich der Gong ertönt werde ich nicht in der Lage sein aufzustehen, da mein rechtes Bein quasi gelähmt ist. Ich werde bei dem Versuch aufzutreten wegknicken und wie ein auf den Rücken gefallener Käfer am Boden liegen. Wenigstens bleibt mir dann die zweite Hälfte der Meditation erspart, denke ich mir und empfinde das als einen passablen Plan, dem Ganzen ein Ende zu bereiten.

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Nach einer gefühlten Ewigkeit schlägt der an der Seite sitzende Mönch endlich den Gong und ich ziehe bedacht mein rechtes Bein unter dem linken hervor. Vorsichtig richte ich mich auf und erstaunlicherweise knicke ich nicht weg wie ein grad zur Welt gekommenes Giraffenbaby. Einigermaßen souverän schließe ich mich also meinem Vordermann an und beginne (innerlich hin und hergerissen, ob ich mich darüber freuen soll, mich mit meiner befürchteten Hinfallaktion nicht zum Horst gemacht zu haben oder mich insgeheim zu verfluchen, da mich noch weitere dreißig Minuten sitzende Meditation erwarten) mit der gehenden Meditationsrunde. Alter, ist das geil nicht zu sitzen! Viel zu schnell vergeht das Gehen und ich begebe mich zurück auf mein Zafu, atme tief durch und bereite mich innerlich auf die zweite Runde psychische und physische Folter vor. Als ich den ersten tiefen Atemzug nehme kommt mir die glorreiche Idee meine Aufmerksamkeit einfach komplett auf meine Atmung zu richten – ich mein, ich hab ja eh grad nichts zu tun. Ich erinnere mich an eine passende Übung, die wir in einer Yogastunde praktiziert haben: Drei Sekunden einatmen, fünf Sekunden Atem halten und acht Sekunden vollständig ausatmen. Schon erstaunlich wie viel Konzentration einem durch bewusstes Atmen abverlangt wird. Selbst mein Bein, was sich auch diesmal nicht vor dem Einschlafen bewahren lässt, kann ich weitestgehend ignorieren. Nach einer halben Stunde ist es geschafft und ich darf mich gemeinsam mit den anderen zum Altar begeben, der in der Mitte des Raumes steht. Drei Mal knien wir uns nieder und verbeugen uns am Boden bevor wir uns hinsetzen, um dem japanischen Singsang der Mönche beizuwohnen. Obwohl ich kein Wort verstehe, hat das Gesummmmmmmme der männlichen Stimmen um mich herum eine beruhigende Wirkung auf mein eben noch so geschundenes Gemüt. Am Ende der Zeremonie verlassen wir nacheinander den Raum – als erstes mit dem linken Fuß, so schreiben es die Regeln vor.

„Geschafft“, schmunzelt der Mönch der mir die Einweisung gegeben hat. Genauso gut hätte das eine Frage sein können, denn geschafft bin ich tatsächlich. Meine erste japanische Zen-Meditation war eine körperliche, als auch geistige Herausforderung, die ich bei Weitem unterschätzt habe. Trotz Kopfschmerzen und einer staubtrockenen Kehle fühle ich mich seltsam befreit als ich nach zwei Stunden endlich an die frische Luft trete. Taube Gliedmaßen, Rückenschmerzen und mentale Zerstreutheit sind am Anfang ganz normal, hatte mir der Mönch zum Abschied gesagt. Zehn Minuten praktizierte Meditation täglich seien ein guter Einstieg, um irgendwann die innere Ruhe dabei finden zu können. Von der inneren Ruhe scheine ich noch weit entfernt zu sein. Dennoch gehe ich mit einem positiven Gefühl und auf mittlerweile wieder gut durchbluteten Beinen nach Hause. Vielleicht sollte ich es nochmal mit weniger anspruchsvollen Meditationskursen probieren, bevor ich mich noch einmal in die Höhle der Mönche traue. Einen gewissen Reiz übt diese Ruhe und Gelassenheit der Herren schon aus. Aber bis dahin ist es für mich noch ein langer Weg – es ist eben noch kein Zen-Meister vom Himmel gefallen.