Das verrückte Weihnachtsfest der Thais

Ferner Osten

So viel Weihnachten steckt in einer thailändischen Privatschule

Es ist Montag, der 23. Dezember – ein Tag vor Heiligabend. Ich sitze an meinem Schreibtisch und lausche angestrengt den immer und immer wiederkehrenden Weihnachtssongs, die aus Richtung Aula ertönen. Nicht einmal im Süden Thailands kann ich dem nervtötenden WHAM!-Hit „Last Christmas“ entgehen. Ja, richtig: Ich befinde mich in DEM Thailand – dem in Südostasien liegenden Thailand auch bekannt, als Strandparadies, kulinarisches Wunderland oder zumindest aus dem zweiten Teil der „Hangover“-Trilogie. Als ich mich an der privaten „Niramon School“ in Chumpon (ein 30.000 Einwohner-Städtchen im Süden des Landes) für ein soziales Praktikum bewarb war mir zwar bewusst, dass es sich dabei um eine katholische Schule handelt, dass die Thais einen derartigen Hype um das christliche Weihnachtsfest feiern würden hätte ich allerdings nicht erwartet. Seit Tagen wird der Unterricht durch Dekorationsaktionen und Proben für die große Weihnachtsaufführung am 24. Dezember ersetzt. Englischunterricht scheint an diesen Tagen zweitrangig zu sein, umso wichtiger sind das Basteln von Weihnachtssternen und das Einstudieren der Thai-Version von Mariahs „All I Want for Christmas“. Nicht mal ich als Gast dieser Schule kann dem Weihnachtswahn entgehen, denn blöderweise bin ich wesentlicher Bestandteil dieses ganzen Zirkus. Ganz im Stil des High School Musicals ist es nämlich meine Aufgabe die moderne Version des kleinen Mädchens mit den Schwefelhölzern zu mimen. Ursprünglich war ich an die Schule gekommen, um die thailändische Sprache zu lernen und als Gegenleistung Ballettunterricht für die jüngeren Schüler zugeben, doch die Thais hatten offensichtlich ihre eigenen Pläne mit mir. Anstatt also den Mädchen die erste bis fünfte Position beizubringen, bin ich nun selbst Mittelpunkt des Geschehens und finde mich in Spitzenschuhen und Lumpen-Kostüm auf der Bühne wieder. Nach meiner tänzerischen Darbietung von ganzen drei Minuten folgt am Ende des Stücks mein persönlicher Lieblingspart: das Finale. Der gesamte Abschlussjahrgang sammelt sich nach und nach auf der Bühne und besonders begabte Schüler leben ihre Stimmengewalt bei der Thai-Version von „Do they know it’s Christmas“ aus. Ein Schmunzeln kann ich mir selbst bei der Generalprobe nicht verkneifen, wenn die Stelle kommt in der es heißt „there won’t be snow in Africa this Christmastime“. Meines Erachten nach wird auch in Thailand kein Schnee für diese Weihnachten erwartet, aber das juckt die Thais nicht im Geringsten. Echter Schnee wird kurzerhand durch Wattebäusche ersetzt und zur Krönung des Ganzen wird ein gigantischer Plastik-Tannenbaum in die Aula gefahren. Ich bin fix und alle als ich an diesem Nachmittag die Schule verlasse.

Seit Tagen ertrage ich nun den überschwänglichen Enthusiasmus der Thais bezüglich des bevorstehenden Weihnachtsfests. In anderen Worten bedeutet das: ständiges Herumgehoppse und Gesinge auf der Bühne bei erheblich schlecht eingestellten Mikrofonen und Lautsprechern – Kopfschmerzen also unvermeidlich. Nicht einmal während der Mittagspause wird meinen Ohren eine Pause gegönnt, denn hier ereignet sich erst das wahre Spektakel: das Christmas-Bingo. Der katholische Direktor der Schule, der sich gewöhnlicher Weise im liturgischen Gewand zu zeigen vermag, fungiert hier als Moderator und heizt sowohl Schüler als auch Lehrer auf, an dem sagenhaften Bingospiel teilzunehmen. Auf der Bühne locken pompöse Teddybären, Spielzeugautos und anderer Schnickschnack, sich für ein paar Baht Bingoscheine zu kaufen. Der Boden ist übersät von Schülern im Alter von sieben bis siebzehn Jahren, die alle scharf darauf sind einen der Gewinne abzusahnen. Mit einem süßen Softdrink in der einen und ihrem Bingozettel in der anderen Hand (manchmal noch auf einem am Stiel steckenden Würstchen kauend) hocken sie dort im Schneidersitz, lauschen hochkonzentriert den Zahlen, die von der Bühne aus aufgerufen werden und fangen an zu johlen wenn sie einen Treffer landen.

Wie sehr die Thais allerdings tatsächlich auf kitschige Stofftiere stehen sollte ich am nächsten Tag erfahren – da geht’s nämlich erst so richtig rund. Ganz nach meiner deutschen Ader komme ich am Morgen des 24. Dezembers viel zu früh in die Schule, um mich vor der großen Stunde standesgemäß aufzuwärmen. Gewappnet für den Auftritt drehe ich eine Runde durch die Aula, die mittlerweile brechend voll ist. Noch sind die Eltern damit beschäftigt an den Outfits ihrer Schützlinge rumzufummeln und gemeinsam mit ihren Liebsten Selfies zu schießen. Nach einer endlos langen Ansprache diverser Lehrkräfte beginnt die große Weihnachtszeremonie mit dem Stück der Abschlussklasse in welchem auch ich mitwirke. Alles läuft glatt über die Bühne. Besonders begeistert ist das Publikum von dem stämmigen Jungen, der mit langer Perücke und weißem Kleid über die Bühne stolziert (da kann selbst ich mit meinem Spitzentanz nicht mithalten). Das Highlight beginnt aber erst, als die Kleinkinder an der Reihe sind. Keine der Klassenlehrerinnen hat sich die Gelegenheit entgehen lassen ihre zwischen fünf bis sechs Jahre alten Schüler in kitschige – dennoch irgendwie niedliche – Kostüme zu verpacken, um sie dann zu aktuellen Chartsmusik so richtig abzappeln zu lassen. Und damit meine ich tatsächlich: abzappeln. Einige der Kids entpuppen sich als wahre Rampensäue, die wahnsinnigen Spaß am Rumhüpfen oder am Posen vor Mamis Tablet (Tablet = Thailändisches Synonym für Kamera) haben. Andere hingegen fangen direkt an zu heulen und entfachen damit eine regelrechte Kettenreaktion. Bricht einer der Kleinen in Tränen aus, fangen auch beim Nebenmann die Lippen an zu zittern bevor sich die großen braunen Äuglein mit Wasser füllen und nach und nach die halbe Bühne am Flennen ist. Die Mütter geben ihr Bestes ihren Nachwuchs bei Laune zu halten, um wenigstens ein gutes Foto mit nach Hause zu nehmen – und genau da kommen die Plüschtiere ins Spiel. Vor dem Eingang der Aula haben sich nämlich (plietsch wie Thais ja nun mal sind) bereits vor Beginn mehrere Stände aufgebaut, die sich anlässlich des weihnachtlichen Tanzspektakels auf den Verkauf von quietschbunten Teddybären und XXL-Kuscheltier-Blumensträußen spezialisiert haben. Damit versuchen die Eltern nun ihre Kiddies zum Weitertanzen zu animieren. Dabei entsteht ein wahrhafter Kampf um die besten Plätze unmittelbar vor der Bühne, von wo aus man die besten Fotos und Videos machen kann. Meine Freundin und ich betrachten das Ganze aus weiterer Entfernung und amüsieren uns köstlich. Nach einer dreiviertel Stunde bester Unterhaltung ziehen wir uns schließlich zurück und freuen uns auf ein richtig deutsches Festtagsessen inklusive Entenbrust und Blumenkohl. Das war mit Abstand das absurdeste Weihnachtsfest meines Lebens!

Die Thais sind wahrlich ein verrücktes Volk (ich darf das sagen – auch ich habe verrückte, thailändische Gene in mir) und wie ich nun feststellen konnte ist das weniger eine Frage der Religion, vielmehr aber eine Sache der Lebenseinstellung. Auch wenn ich viele Dinge, die ich während meiner Zeit in Thailand erlebt habe belächle, bewundere ich die Thais für ihre Ungeniertheit und die unbeschwerte Lebensweise, die sie an den Tag legen. Manchmal ist glücklich sein so leicht, auch wenn wir Deutschen uns manchmal schwer damit tun. Denn egal, ob die Thais nun verstanden haben, was genau am Heiligabend gefeiert wird, geht es doch eigentlich darum glücklich zu sein – und das haben sie defintiv geschafft. Ob nun mit Kuscheltier oder ohne!